Fokus auf die Balleroberung

Mit Pressing und Gegenpressing den Gegner permanent unter Druck setzen. Den Ball in der Nähe des gegnerischen Tors erobern und schnell den Torabschluss suchen. SVR-Cheftrainer Oliver Glasner erklärt im SVR-Magazin „Inside“ das neue Rieder Spielsystem.

Teil eins des neuen Systems ist das Pressing: Der Gegner wird sehr offensiv attackiert. Der Ball soll möglichst nahe am gegnerischen Tor gewonnen werden, um sofort auch torgefährlich zu sein. Der Gegner wird damit auch möglichst weit vom eigenen Tor ferngehalten.

 

„Hoffenheim hat mit Pressing und mit einer sehr aggressiven Verteidigung für Furore gesorgt. Sie sind von der dritten in die erste Liga aufgestiegen und sind gleich Herbstmeister geworden“, weiß Oliver Glasner. „Ralf Rangnick und sein Team haben diese Spielweise geprägt. Sie haben sich sehr intensiv damit auseinandergesetzt und waren damit sehr erfolgreich. Man zieht sich nicht mehr zurück, attackiert weiter vorne und kommt dadurch zu vielen Balleroberungen.“

 

Jedes System hat natürlich Vor- und Nachteile. Beim Pressing steht der gesamte Mannschaftsblock sehr hoch. Es funktioniert deshalb nur, wenn alle mitmachen – auch der Tormann, der wie ein Libero hinter der Abwehrkette spielt. Lässt ein Spieler aus, kann der Schuss nach hinten losgehen, weil man dem Gegner Räume öffnet. „Man kann das System aber während des Spiels relativ schnell anpassen. Man kann am gegnerischen Sechzehner pressen oder sich weiter zurückziehen, ohne das Grundprinzip der Philosophie zu verlassen: Beim Verteidigen eine Überzahl am Ball erzeugen, um diese dann bei Ballgewinn auszunutzen. Das ist die Idee des Pressings. Dazu kommt sehr viel Druck am Ball, um den Gegner zu Fehler zu zwingen.“

 

Die Balleroberung erfordert sehr viel Lauf- und Sprintbereitschaft. „Die Bayern unter Pep Guardiola verwenden den Ballbesitz, um sich auszuruhen. Diese Ruhepausen bei eigenem Ballbesitz sind bei uns noch zu kurz, weil wir den Ball oft zu schnell wieder verlieren. Das müssen wir noch besser umsetzen. Man lernt das aber auch nicht von heute auf morgen.“

 

Teil zwei neben dem Pressing ist das Gegenpressing. Eine Studie hat ergeben, dass die größte Wahrscheinlichkeit für den Torerfolg acht bis zehn Sekunden nach der Balleroberung gegeben ist. Wenn der Ball 25 Sekunden im Besitz ist, geht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tor gelingt, gegen Null. „Der Ansatz beim Gegenpressing ist folgender: Wenn man vorne im Angriff den Ball verliert, versucht man sofort wieder, den Ball zurückzugewinnen. Alle Spieler in Ballnähe versuchen, Überzahl am Ball zu erzeugen.“ Jetzt gilt es, diese Überzahl schnellstmöglich auszunutzen, um torgefährlich zu werden.

 

Wenn die Ballrückeroberung aber nicht gelingt, hat der Gegner große Räume und wird dadurch gefährlich. Besonders wichtig ist dann die restliche Verteidigung. Diese Verteidiger müssen gute und schnelle Entscheidungen treffen. Es erfordert eine gute Abstimmung in der letzten Reihe und eine hohe Spielintelligenz bei den Spielern.

 

„Wir haben gesehen, dass wir bei langen Bällen anfällig waren. Die Gegner bereiten sich ja auch auf unsere Spielweise vor. Sie knallen oft nur mehr den Ball nach vorne, weil wir so aggressiv attackieren. Wir schieben deshalb weiter zurück, damit der Gegner nicht mehr so viel Tiefe und Räume hat.“

 

Wenn Pressing und Gegenpressing gut funktionieren, nutzt man die Ballgewinne, um torgefährlich zu sein. „Gegen die Admira hatten wir 48 Ballrückeroberungen, aber nur zwei Mal auf das Tor geschossen. Der Aufwand stand da mit dem Ertrag nicht im Einklang. Wir trainieren in diesem Bereich auf Ballsicherheit und das Ausspielen von Überzahlsituationen, um zum Abschluss zu kommen. Wir schaffen die Überzahl, spielen aber noch zu schlampig oder treffen falsche Entscheidungen. Das passiert auch deshalb, weil unsere Spieler noch jung und unerfahren sind. Ich habe aber schon klare Fortschritte gesehen. Wir pressen nicht mehr so weit vorne, können den Gegner aber doch unter Druck setzen. Wir kommen zu Ballgewinnen, da sind wir gut unterwegs. Im Ausnützen der Chancen läuft es aber noch nicht optimal.“

 

Gegenpressing spielen bereits die meisten Vereine in der Bundesliga. „Es ist die moderne Art des Fußballs. Jürgen Klopp ist mit Dortmund so Meister geworden. Seine Devise lautet: ‚Gegenpressing ist der beste Spielmacher‘. Man schafft es dadurch auch mit etwas weniger Qualität, einen geordneten, qualitativ besseren Gegner auszuspielen.“ Einzig das Verhalten, wenn das Gegenpressing überspielt wurde, ist bei den Mannschaften unterschiedlich: Einige verteidigen weiter nach vorne, andere lassen sich teils bis in den eigenen Sechzehner zurückfallen.

 

„Am extremsten macht es zurzeit Leipzig. Sie haben sehr geringe Passgenauigkeit. Auch bei Leverkusen ist es so. Der Fehlpass gilt als kein Fehler mehr, sondern als das Startsignal zur Ballrückeroberung. In Deutschland gibt es in der Trainerausbildung sogar bereits das Angriffsmittel ‚bewusster Fehlpass‘. Das gibt es in Österreich noch nicht. Wir spielen unsere Fehlpässe ganz sicher nicht bewusst.“

 

Um ein ganz neues Spielsystem zu implementieren, braucht es Zeit. Das weiß auch Oliver Glasner: „Ehrlich gesagt, hätte ich es mir am Anfang auch etwas einfacher vorgestellt. Andererseits macht es das auch spannend. Und es stimmt mich sehr zuversichtlich, weil ich Fortschritte sehe und wir auf einem guten Weg sind.“